Nürnberger Zeitung Nov. 2004

Nürnberger Zeitung

In einem Hinterhof tanzen die Derwische

Nürnberger Zeitung am 11.November 2004

 

Von Raimund Kirch © NZ

 

Glaube ist nicht mehr ein selbstverständliches Erbe. Aber gerade deshalb fragen Menschen vermehrt nach Glauben. Die NZ wird in loser Folge auf dieser Seite Glaubensgemeinschaften in Nürnberg vorstellen.

 

Weiße fliegende Gewänder, hohe Filzhüte, weiches Schuhwerk. Fast schwebend drehen sich die Männer und Frauen im Kreis zum Klang der Ney-flöte. Die Augen sind geschlossen, die Füße kennen traumwandlerisch ihren Weg. Der Derwischtanz des Mevlevi-Ordens ist ein Faszinosum. Anhänger des islamischen Sufismus sehen ihn als ein Symbol für die Ordnung des Universums. Im meditativen Gebet mit dem Körper suchen die Tanzenden mystische Versenkung.

 

Eine so genannte Dergah, also einen Versammlungsort der Mevlevi-Derwische gibt es auch in Nürnberg. Er liegt in der unscheinbaren Peyerstraße, Hausnummer 30/Rückgebäude. Dort treffen sich wöchentlich Schülerinnen und Schüler des Sufiordens aus ganz Süddeutschland. 60 Personen zählt der Verein; darunter auch viele Frauen. Das ist erwähnenswert, weil ursprünglich keine Frauen zum Orden zugelassen waren, als er im 13.Jahrhundert in Konya gegründet wurde. Doch lässt man heute in Europa und Amerika Frauen zu.

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Zu einer Kultfigur geworden

Die Derwische berufen sich schließlich auf den undogmatischen Mevlana Dschelaleddin Rumi, der von 1207 bis 1273 lebte. Rumi, der aus dem persischen Sprachbereich kam, verbrachte die meiste Zeit seines Lebens in türkischen Konya. Seine mystischen und poetischen Schriften sind nach dem Koran die meistgelesenen in der muslimischen Welt. In den letzten Jahren erfuhr die Lehre Rumis eine Renaissance im Westen, weil sie sich von der rigoristischen arabischen Auslegung abhebt. Für viele, vor allem jüngere Menschen, ist er sogar zu einer Art Kultfigur geworden. Nicht von ungefähr. Die im letzten Jahr verstorbene Islamwissenschaftlerin Annemarie Schimmel will eine Verbindung Rumis zum frühen Christentum gemerkt haben.

 

Sie schreibt: “Er kannte die christlichen Mönche”, habe doch Konya östlich von Kappadokien gelegen , wo sich einst eine Hochburg frühchristlicher Mystik befand. Man könnte sich fragen, so Annemarie Schimmel, ob Rumi nicht von byzantinischer Kunst und Frömmigkeit beeinflusst worden sei.

 

Kann und darf ein Christ, eine Christin den Tanz der drehenden Derwische lernen? Dies wird Scheich Süleyman Bahn öfter gefragt. Bahn ist der Leiter des Derwischkonvents in Nürnberg. Auch die angesehenen Scheichs des Derwischordens in der Türkei erkennen den 60-Jährigen an. Der gebürtige Österreicher hat vor 30 Jahren in Konya den Sufismus entdeckt und sich dann zwölf Jahre lang in die Dienste eines Scheichs, also eines geistigen Lehrers, begeben.

 

Nach dessen Tod übernahm er dessen Amt, wenn man es so nennen will. Seit 1992 lebt Bahn in Nürnberg. Die Frage nach einer Mitgliedschaft von Christen bejaht er. Schließlich sei die Weltsicht Mevlanas eine “Religion hinter der Religion”. Freilich müssten sich Interessierte einlassen auf den Koran und dessen Botschaft, was nicht einfach sei.