Nürnberger Nachrichten Juni 2006

Nürnberger Nachrichten

Wilder Tanz für Allah

von Ufuk Kırca © NN

 

Nürnberger Derwische treffen sich seit 15 Jahren 

 

Ekstatisch um ihre eigene Achse wirbelnde Derwische des Mevlana-Ordens in langen weißen Roben und mit hohen Filzhüten kennt jeder aus dem Türkeiurlaub. Kaum jemand aber würde die tanzenden Mystiker in einem unauffälligen Rückgebäude mitten in Nürnberg erwarten. Dabei gibt es den Mevlana-Verein Nürnberg bereits seit 15 Jahren.

 

In der Peyerstraße 30, ganz in der Nähe der U-Bahn-Station Maximilianstraße, ist dieser offizielle Ableger des in der Türkei beheimateten Ordens in einem schlichten, einstöckigen Gebäude im Hinterhof untergebracht. Die Einfachheit entspricht auch den Lehren Mevlana Dschelaleddin Rumis, auf den sich die Mevlevi-Derwische berufen.

 

Rumi lebte im 13. Jahrhundert, zur Blütezeit der islamischen Mystik im heute zentralanatolischen Konya. Dort begegnete er auch dem persischen Wandermönch Schamsaddin Tabrizi, der ihn im Sufismus, wie der mystische Zweig des Islam bezeichnet wird, unterwies. Als Tabrizi nach wenigen Jahren spurlos verschwand, drückte Rumi seinen Schmerz über den Verlust seines geliebten Freundes und Lehrers in zahllosen Versen aus.

 

Einheit mit Gott

 

Seine Gedichte symbolisieren gleichzeitig auch die Liebe des Menschen zu seinem Schöpfer. Für Rumi steht die alles verzehrende Liebe zu Gott im Mittelpunkt und nicht die strikten Gebote und Verbote des orthodoxen Islam. Die Schönheit des diesseitigen Lebens dazu zu nutzen, um die Einheit mit Gott anzustreben, ist daher kein Sakrileg. So werden Musik und Tanz zu einem wichtigen Merkmal des Ordens, der sich in der Tradition der Lehre Mevlanas bildet.

 

Nach Nürnberg kamen die tanzenden Derwische erst mit Süleyman Bahn, einem gebürtigen Österreicher. Er ist seit 1991 der einzige und offiziell zuständige Mevlevi-Scheich in Deutschland, also das regionale Oberhaupt. Bahn ist vor über dreißig Jahren mit dem Orden in Berührung gekommen, als er das Mausoleum Rumis in Konya als Tourist besuchte. „Der Funke sprang über, ich baute eine sehr innige Beziehung zur Person Rumis auf“, sagt der 62-Jährige bedächtig.

 

40 Mitglieder

 

In den folgenden Jahren reiste der Innenarchitekt mehrmals im Jahr in die Türkei, um sich von seinem Scheich, seinem spirituellen Lehrer, in den Sufismus einführen zu lassen. Als Vertreter des Istanbuler Oberscheichs wurde ihm 1991 gestattet, den Mevlana Verein in Nürnberg zu gründen. Unter den mittlerweile 40 Ordensmitgliedern wird die Versammlungsstätte Dergah genannt.

 

So haben sich auch vor kurzem im „Dergah“ wieder neun Männer und vier Frauen versammelt. Die Mevlevis grenzen Frauen nämlich nicht aus, erkennen ihnen sogar zu, bis in den Rang eines Scheichs aufzusteigen. Noch erstaunlicher ist es, dass man auch als Nichtmuslim Mitglied werden kann. „Der Mevlevi-Sufismus ist überkonfessionell. Wenn er richtig begriffen wird, verschwinden alle Grenzen zwischen den Religionen“, erklärt Süleyman Bahn.

 

An diesem Abend sind fast nur deutsche Derwische anwesend, die nach dem rituellen Mittagsgebet an Konzentrationsübungen teilnehmen und Lobpreisungen Allahs zu rhythmischen Bewegungen aufsagen, um letztlich in den berühmten Derwischtanz überzugehen. Jeder dreht sich um die eigene Achse und wandert gleichzeitig im Kreis durch den Raum.

 

Dabei sind die Arme ausgestreckt, die Innenfläche der rechten Hand weist nach oben, die der linken ist nach unten gerichtet. Dadurch wird symbolisiert, dass man die Gaben Gottes in Empfang nimmt und an die Menschen weitergibt. Die Kreisbewegung wiederum steht für die Bewegung der Gestirne. Die Ordensmitglieder tanzen nicht in den bekannten weißen Gewändern, sondern in ihrer alltäglichen Kleidung, weil es eine normale Übung für sie ist und kein besonderer Anlass vorliegt.

 

Einer der Derwische ist die extra aus München angereiste Elif. Die 57-jährige heiratete in eine türkische Sufi-Familie ein, war aber schon zuvor zum Islam konvertiert. „Als Derwisch lernt man Anstand, Liebe und Respekt gegenüber allen Geschöpfen vorzuleben und wird von einer unbeschreibbaren Sehnsucht nach Gott ergriffen“, erklärt sie.