Âteşbâz-ı Velî

ÂTEŞBÂZ-I VELÎ (Şemsseddin Yusuf)

Bedeutung

Bismillahirrahmanirrahim

„Wer seine Bindung zur Welt jede Zeit (tefekkür) neu entdecken kann, der findet überall eine Lehre“ sagte Âteşbâz-ı Velî, der Küchenmeister der Derwische, „der findet in allem eine Lehre“.

 

Essen und Trinken spielt in den meisten Religionen eine wichtigere Rolle, als nur körperliche Nahrungsaufnahme. Es hat eigentlich fast überall den Status eines Kulturgutes. Essen und Trinken bietet die Gelegenheit, sich zu treffen, sich gegenseitig einzuladen und zu feiern. Durch gemeinsame Mahlzeiten werden Beziehungen auf freundschaftlicher Basis, in Familien, Stämmen und Gemeinden gepflegt. Zu einer solchen Pflege von Beziehung gehört auch das Tischgebet. Wir pflegen dabei unserer Bindung zu Gott, indem wir unsere Dankbarkeit für die Speise zum Ausdruck bringen und Ihn preisen.

 

In der Mevlevi-Tradition nimmt die Nahrung einen sehr wichtigen Platz ein, z.B. wie die Zutaten geerntet und in der Küche verarbeitet werden etc.. Diese wichtigen Prozesse wurden von Hz. Mevlana sehr oft als Metapher für die spirituelle Entwicklung eines Menschen verwendet.

 

Ein bekannter Ausspruch von Hz. Rumi lautet: „Ich war roh, dann wurde ich gekocht und schließlich verbrannt“. Hz. Mevlânâ bezeichnete die erste Stufe mit äußerlichem, sichtbarem (zahiri) Wissen als rohen Zustand, die zweite Stufe mit der Öffnung des Herzens zur Wahrheit, als gekochten Zustand und die dritte Stufe mit der Reife und der Einigung mit Gott als verbrannter Zustand des Menschen. Im verbrannten Zustand begann Hz. Mevlânâ im Buch des Universums, die Geheimnisse der Wahrheit zu lesen. Damit symbolisierte Hz. Pîr durch die verschiedenen Kochprozesse die Haltepunkte seiner geistigen Entwicklung.

 

Im Laufe dieser Reise unterstützte ein wichtiger Freund Hz. Pîr und seinen Sohn Hz. Sultan Veled auf der beschriebenen, inneren Entwicklung. Der Name dieses Freundes ist Şemseddin Yusuf, bekannt als Âteşbâz-ı Velî. Laut mancher Quellen kommt sein Name aufgrund seiner Aufgabe als Kochmeister aus dem Persischen Aş-puz. Ateşbaz bedeutet, derjenige, der mit dem Feuer spielt. Wie in vielen Quellen berichtet wird, wanderte Şemseddin Yusuf mit Sultanü’l-Ulema Bahaeddin Veled und mit seiner Sippe aus Balch nach Konya. Er war der Lala von Hz. Rumi. Lala bedeutet wörtlich „Erzieher und Lehrer“. Als bescheidener Küchenmeister stellte er in seiner Küche (Matbâh) für die Derwische immer ein sorgfältig ausgewähltes Menü, unter Einhaltung des entsprechenden Adabs, zusammen. Der Adab ist das gute Benehmen, welches das soziale Verhältnis innerhalb der Gesellschaft regelt. Der Adab hat eine zentrale Rolle in allen islamischen Gemeinschaften. Das beinhaltet die Wohlordnung der Beziehungen, in denen der Mensch lebt: Gerechtigkeit, Respekt und Liebe zu uns selbst, zu Gott, zu unseren Mitmenschen, zu den Tieren und Pflanzen und zur gesamten Schöpfung.

 

Şemseddin Yusuf selbst wurde sowohl im symbolischen Sinne und als auch in der Wirklichkeit in der Matbah erzogen, quasi gekocht. Obwohl Şemseddin Yusuf vor Jahrhunderten gelebt hat, bewirtet er seine Gäste auch heutzutage mit einer großen spirituellen Gastfreundschaft. Wie Rumi sagte: „Sucht unser Grab nach unserem Fortgang nicht auf der Oberfläche der Erde. Unser Grab befindet sich in den Herzen der Wahrheitssuchenden.“

 

Aus Hz. Rumis Leben, seiner Gedankenwelt, seiner Lehre und seiner Auffassung über das Weltliche (zahir) und das Innerliche (batın) entstand die Mevlevi-Sufi-Perspektive. Als sein Sohn Hz. Sultan Veled seine geistliche Vertretung übernahm, gründete er den Mevlevi Orden. Der Mevlevi Orden ist eine gehobene Ausbildungsinstitution, wo Schüler lernen, durch Adab (Essen, Trinken, Schlafen, weltliche Pflichten und Beziehung zu Gott) die Hindernisse, dieaufgrund des Egos (Nafs) auftreten, zu erkennen und zu analysieren und die ständige Allgegenwart und Anwesenheit des Schöpfers zu erkennen.

 

In dieser Institution kam Âteşbâz-ı Velî nach Mevlâna und seiner Familie eine sehr große Bedeutung zu. Zum einen, als die eines guten Weggefährten und zum anderen als die eines Wissenden. Das sieht man auch an seiner Position als Kochmeister, denn der Koch hat nicht nur die Aufgabe Nahrung zuzubereiten. Er hat insbesondere die Aufgabe, die neuen Derwische zu „Kochen“. Aus diesem Grund nennt man die Küche auch Çilehâne, was auch mit „Bereich des Leidens“ übersetzt werden kann.

 

In diesem Bereich durfte/darf man keine unnötigen Gespräche führen, keine lauten Töne und keinen Lärm erzeugen. Der Blick wurde nach Innen gerichtet, in Ruhe und Gelassenheit, das Quadrant für Quadrant die Seele abbildende Herz durfte/darf nicht gestört werden. Die Leute, die sich in der Dergah nicht an diese Regeln hielten, wurden nicht sehr lange toleriert. Wenn sie trotz mündlicher Warnung ihr Verhalten nicht änderten, bestrafte der Küchenmeister den Störenfried, indem er ihm auftrug, lange Zeit still zu stehen oder in seinem Zimmer zu bleiben und es nicht zu verlassen.

 

Um jeden an diese „BENIMM DICH REGELN“ zu erinnern, stand an den Wänden „EDEP YA HUUU…“ wörtlich „ANSTAND YA HUUU…“. Aus Respekt vor der Küche verbeugte der Derwisch sich sogar vor der Tür, wenn er an der Küche vorbeiging. Nach den Worten von Hz. Mevlâna ist die Küche eine Werkstatt, in der man das „Sterben vor dem Sterben“ übt, ein Labor, in dem das Ego erkannt und analysiert wird. „Stirb durch das Schwert der Liebe, damit Du das ewige Leben findest. Die Lebenden können den Duft des Schwertes der Liebe nicht riechen. Schneidere dir als Lebendiger ein Kleid aus Hingabe und Gebet. Der Tod bleibt nackt, wenn Du Dein Kleid der Lebendigkeit ausziehst, und du wirst bloßgestellt. Mein lieber Freund, wenn du dir ewige Lebendigkeit wünschst, dann stirb, bevor du stirbst.“

 

Das weiße Post (Fell), das in der Dergah das zweithöchsten Maqâm symbolisiert, gehörte Şemseddin Yusuf. Das andere Post ist rot und symbolisiert das Sultan Veled Maqâ Şemsuddin Yussuf bekam dieses Maqâm aufgrund seiner Nähe zu Rumi, seiner spirituellen Reife, wegen seiner ausgewogenen Entscheidungen und seiner disziplinierten Aufgabenerfüllung. Şemseddin Yusuf beherrschte diese gewissen Disziplinen in der Küche mit durchscheinender Präsenz und großer Souveränität. In der Küche herrschte eine disziplinierte Organisation. Es gab eine Verteilung der Aufgaben in 18 Bereiche, welche die ersten Verse des Mesnevi symbolisieren.

 

1. Kazancı Dede (der Kesselmeister): Er ist zuständig sowohl für das Kochen, als auch für die Erziehung der Derwische. Er ist der oberste Lehrer, der den Adab lehrt. Er ist der absolute Küchenvorstand.

 

2. Halife Dede:

 

Er ist der Stellvertreter und 1. Assistent von Kazancı Dede. Er ist der zuständige Ausbilder für die Anfänger.

 

3. Dışarı Meydancısı:

 

Äußerer Küchenbereich; er ist zuständig für die Verbindung zwischen Küche und dem äußeren Bereich. Er hat die Aufgabe des Boten und trägt die Botschaften und Schreiben zwischen den einzelnen Verantwortlichen hin und her.

 

4. Çamaşırcı Dede:

 

Er ist zuständig für die Wäsche und Sauberkeit in der Dergah.

 

5. Âb-rîzci:

 

Er ist zuständig für die Toilettenreinigung und für Reinigung aller Wasserstellen. Weil das Ego durch diese Aufgabe gebrochen wird, zählt dieser Dienst als der Bedeutendste.

 

6. Şerbetçi:

 

Getränkemeister; er bereitet alle Säfte und den Tee zu. Er bereitet ein Getränk namens Scherbet zu und bietet es jedem Dede an, der in die Küche kommt.

 

7. Bulaşıkçı:

 

Verantwortlich für das Geschirr; reinigt Geschirr und Küchengeräte.

 

8. Dolapçı:

 

Schrankmeister; poliert Messing und Silber, macht aber auch alle anfallenden Blechschmiedearbeiten, z.B. Kesselflicken.

 

9. Pazarcı:

 

Einkäufer; geht jeden Morgen zum Bazar, er ist verantwortlich für den gesamten Einkauf sowie den Transport zur Dergah.

 

10. Somatçı:

 

Vorbereitung der Tafel; er bereitet die Tafel vor und macht anschließend wieder sauber bzw. lässt sauber machen. Er ist verantwortlich für die Sauberkeit der Tafel und des gesamten Essbereiches.

 

11. İç meydancısı:

 

Er ist zuständig für alle Innenräume der Dergah und für das Kaffeekochen für die Canlar, wie die Derwische auch genannt werden.

 

12. İçeri kandilcisi:

 

Lichtmeister für die Innenräume; reinigt die Öllampen und ist für die Kerzenbeleuchtung und die Kerzenständer im gesamten Innenbereich zuständig.

 

13. Tahmisçi:

 

Kaffeemeister; er röstet den Kaffee und mahlt ihn im Mörser.

 

14. Yatakçı:

 

Bettenmeister; schafft Matratzen und Bettzeug herbei und räumt sie jeden Morgen wieder weg.

 

15. Dışarı kandilcisi:

 

Wärter der äußeren Lampen; Öllampen und Kerzen im Außenbereich.

 

16. Süpürgeci:

 

Er lehrt den Garten und die Umgebung sauber zu halten, zu kehren etc. Er ist zuständig für die gesamte Ordnung und Sauberkeit im Außenbereich.

 

17. Çerağcı:

 

Er pflegt die Grabstellen in der Türbe, und ist Gehilfe des Lichtmeisters, zuständig für die Kerzen.

 

18. Ayakçı:

 

Laufbursche; erledigt Botengänge; 1.Schritt auf dem Weg zum Derwischdasein. Ayakçı sind die Anwärter für die Initiation.

 

Je mehr die Liebe zu Allah zunimmt, umso durchscheinender wird der Schleier des Ego (Nafs). Durch die Stärke der Gottesliebe im Herzen verliert das Ego sein Interesse an weltlichen Dingen und sieht mit den Augen des Herzens die Wahrheit des Geschehens. Auch das Herz von Hz. Mevlânâs Freund Şemseddin Yusuf brannte in dieser starken Gottesliebe, die eines Tages in Erscheinung trat.
Es war viel los an diesem Tag in der Dergah. Şemseddin Yusuf kümmerte sich um die Essensvorbereitungen für die zu erwartetenden Gäste. Also herrschte eine große Aufregung im Matbâh. Şemseddin Yusuf erklärte einesteils den ihm anvertrauten helfenden Derwischen ihre Aufgaben und andererseits bereitete er das Gericht im großen Kessel zu. Den Kessel setzte er auf das Feuer. Der Somatçı, der für die Tafel zuständig war, hatte schon angefangen die Tafel zu decken. Als sich Şemseddin Yusuf dem Kessel näherte, um zu probieren, ob das Essen fertig gekocht sei, sah er, dass das Feuer fast ausgegangen war und im Holzlager kein Holz mehr vorhanden war. So etwas war ihm noch nie passiert. Şemseddin Yusuf war sehr besorgt und nachdenklich, dass am Ende der Vorbereitungen so etwas geschah, und er wusste nicht, was er machen sollte. So ergab er sich, im Vertrauen auf Gott, dieser unerwartete Situation und ging zu seinem Freund Hz. Pîr, um diesem die Sache zu schildern. Hz. Mevlâna hörte seinem Freund mit freundlichem Lächeln aufmerksam zu. Dann aber sagte er zu Semseddin Yusuf die geheimnisvollen Worte: „Ya Şemseddin, wenn es kein Holz mehr gibt, dann leg doch Deine Füße ins Feuer!“ Diese Antwort hatte Şemseddin Yusuf nicht erwartet. Diese Antwort hat ihn sehr erstaunt. Mit großer Demut und unter großem Vertrauen verließ Şemseddin Yusuf den Raum und ging in die Küche. Ohne zu zögern, legte er seine Füße ins Feuer. Zwischen seinem großen Zeh und dem benachbarten Zeh bildete sich eine kleine Flamme. Das kleine Feuer schlug hohe Flammen, als ob die Stärke des Feuers von seiner Gottesliebe gespeist würde. Nachdem Şemseddin Yusuf sicher sein konnte, dass das Essen gar war, nahm er seine Füße wieder aus dem Feuer heraus. Dann arbeitete er, wie gewöhnlich, in der Küche weiter , denn er dachte, die Ursache dieses Wunders hätte nichts mit ihm selbst zu tun, sondern bezog es auf die Tugenden des Hz. Mevlâna. Nach dem Abendbrot ging er zu Hz. Rumi. Und dieser fragte ihn, wie sein Tag gelaufen sei. Şemseddin Yusuf erzählte ihm mit nachdenklichem Gesicht, was kurz vorher in der Küche geschehen war. Hz. Mevlânâ hatte ihm zuerst schweigend zugehört, aber dann sein Gespräch unterbrochen, weil sein Gefährte seine Wunder verraten hatte. Hz. Pîr sagte: “O mein Âteşbâzı , warum hast du dich verraten?..„ und Hz. Mevlânâ fragte weiter, ob eine Spur von seiner Tat zurückgeblieben sei. Als Âteşbazı seinen Fuß betrachtete, erkannte er eine linsengroße schwarze Stelle zwischen den beiden Zehen.
Vielleicht wollte Hz. Rumi seinem Freund durch diese Worte auf seinen Fehltritt hinweisen, als er zu ihm sprach:

 

Sei still! Sei still! Es ist genug!

 

Zerreiß der Geheimnisse Schleier nicht!

 

Denn für uns ziemt es sich, die Ruine zu restaurieren und die Geheimnisse zu bedecken!

 

Eingang zur Türbe von Âteşbâz-ı Velî

 

Weil Hz. Mevlânâ Semsseddin Yusuf wegen dieses Ereignisses Âteşbâz-ı nannte, bekam er den Beinamen Âteşbâz-ı Velî (Gottesfreund, der mit Feuer spielt). Hierdurch steigerte sich die Anerkennung für Şemseddin Yusuf. Er wurde sehr alt und vereinigte sich100-jährig, wie es in der Legende heißt, im Jahre 1285 mit seinem Schöpfer. Die Barmherzigkeit Gottes sei mit ihm.

 

Sein Mausoleum wird heute, nach einer alten Tradition von einer Person, die Bende genannt wird, sorgfältig gepflegt. In dem uns vorliegenden Buch, das wir hauptsächlich für diesen Beitrag verwendet haben, gibt es ein Bild von Frau Fatma Bekleyiciler und dem Mausoleum von Âteşbâz-ı Velî. Frau Fatma Bekleyiciler hat über 50 Jahren mit großer Hingabe diesen Dienst dort geleistet und ist am 28. 11. 2006 verstorben. Wir wollen dieser treuen Dienerin mit einer Fatiha gedenken. Ihre Tochter hat diesen Dienst in ihrer Nachfolge übernommen.

 

Âteşbâz-ı Velî sagte: „Wer seine Bindung zur Welt in jeder Zeit (tefekkür) neu entdecken kann, für den gibt es in allem eine Lehre“. Allah möge uns helfen, das Tor zu dieser Lehre zu öffnen.

 

Ayşe Geçer

 

Quellen:
(1) Nezahat Bekleyiciler, Âteşbâz-ı Velî, Tablet Kitabevi
(2) H. Hüseyin Top, Mevlevi Usul ve Adabı, Ötüken Neşriyat A.Ş.
(3) A. Gölpınarlı, Mevlânâdan Sonra Mevlevilik,

 

©Ayse Gecer